7. Rundbrief von Amarins Reidenbach, MaZ in Cebula, Philippinen
Liebe Leute!
In der fanatischen Konfrontation mit meinem eigenen Genie, die ich hier täglich erlebe, darf ich die Kraft der nachhaltigen und bewussten Arbeit des Kollektivs nicht vergessen. Hier in Balay Samaritano bin ich alles andere als die Chefin. Ich bin keine Managerin, keine Köchin, keine Sozialarbeiterin, keine Nonne, ich bin einfach Amarins. Amarins, ein Freiwillige aus den Niederlanden. Manchmal wünschte ich, ich wäre hier die Chefin. Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass ich alles besser weiß. Was natürlich NICHT der Fall ist. Ich bin jetzt seit 8 Monaten auf den Philippinen und spüre immer noch täglich Hindernisse bei den Dingen, die ich gerne tun würde. Dinge wie: 'Tu es nicht, Amarins, du wirst dich schmutzig machen' oder 'Ich mache es, das ist zu gefährlich' oder 'nein, das ist nicht nötig, es ist zu kompliziert'. Ich weiß, dass das alles gut gemeint ist, aber trotzdem kriege ich manchmal eine kleine Krise. In einem Rundbrief vor einigen Monaten habe ich beschrieben, dass ich hier bin, um mit zu beten, zu leben und zu arbeiten. Aber jetzt, da ich das Projekt und vor allem die Kinder besser kennen gelernt habe, habe ich das Gefühl, dass nit Beten, Leben und Arbeiten nicht ausreicht. Das Bedürfnis, ein wenig mehr Verantwortung zu tragen oder etwas mehr spezifische Aufgaben zu übernehmen, ist groß. Dieses Gefühl, das mich derzeit umtreibt, ist nahe an einem bestehenden Konzept. Und ich muss sehr aufpassen, dass ich nicht in diese Rolle verfalle.
Ich möchte euch etwas über den weißen Retterkomplex erzählen, auch bekannt als White Saviorism, eine Ideologie, bei der eine weiße Person aus einer Position der Überlegenheit heraus handelt, um eine schwarze, indigene oder farbige Gemeinschaft oder Person zu retten. Ihr fragt euch vielleicht, wie du helfen kannst, wenn du Menschen in Not siehst, insbesondere Farbige. Ist das, was du tust, um zu helfen, um dich gut zu fühlen, wichtiger als tatsächlich gegen die systemischen Probleme zu arbeiten, die die Menschen betreffen? Es ist eine edle Idee, seinen Mitmenschen zu helfen, aber der Weiße-Retter-Komplex kann einen davon abhalten, sich mit der wirklichen Arbeit zu befassen, die getan werden muss. Denn nur ein Pflaster auf die Wunde zu kleben, hilft nicht. Glücklicherweise weiß ich sehr gut über mich selbst, dass ich mich nicht wie ein so genannter "weißer Retter" verhalte. Schließlich stehe ich in Balay Samaritano auf der gleichen Stufe wie alle anderen, die hier jeden Tag reinkommen. Und weil ich unbedingt möchte, dass das so bleibt, bin ich mir meines Verhaltens sehr bewusst.
Zum Beispiel geht das Geld, das ihr gespendet habt, direkt an Sr. Ewa. Sr. Ewa stammt aus Polen und ist seit Januar wieder auf den Philippinen, nachdem sie die letzten drei Jahre aufgrund persönlicher Umstände in Polen verbracht hat. Sr. Ewa war vor der Corona-Pandemie mehr als 20 Jahre lang die Leiterin von Balay Samaritano. Und seit ihrer Rückkehr wird Balay Samaritano durch neue Initiativen langsam wieder zu dem Projekt, das es einmal war. Weil Schwester Ewa jetzt zurück ist, werden mehr verschiedene Aktionen durchgeführt. Auch dank des Geldes, das ihr gespendet habt n. Im März haben wir für 3 Familien (3 jugendliche Mütter mit ihren Babys) Zimmer in der Stadt gemietet, damit sie nicht auf der Straße schlafen müssen. Es sind wirklich keine besonderen Zimmer. Ich bin mir sicher, dass niemand von euch auch nur für eine Nacht in einem solchen Zimmer schlafen möchte, aber für diese Mütter ist es besser als auf der Straße zu schlafen. Als ich die Zimmer sah, dachte ich an ein Rattenloch, aber ich nenne es einfach 'Filipino Style', denn die Mütter sind total zufrieden damit. Ein weiteres Projekt, an dem ich mit Schwester Ewa arbeite, ist die Beantragung von Geburtsurkunden für die Kinder, die keine haben. In den nächsten Wochen wollen wir ein Projekt starten, um für die Kinder ohne Geburtsurkunde eine zu beantragen. Aber das ist ein bisschen schwieriger, als es klingt. Denn dazu braucht man auch die Eltern der Kinder, und die sind manchmal nicht auffindbar oder haben einfach kein Interesse. So eine Geburtsurkunde ist aber super wichtig, denn ohne Geburtsurkunde können die Kinder später nicht in einer Schule angemeldet werden. Es gibt also viele gute und konkrete Ideen, wie das gespendete Geld verwendet werden kann. Und das Wichtigste ist die Unterstützung von Sr. Ewa, damit das nicht nur ein Pflaster auf einer Wunde ist, sondern damit die zugrunde liegenden Probleme erkannt und angegangen werden können. Ich genieße es sehr, Sr. Ewas 'Assistentin' zu sein. Da sie selbst sehr beschäftigt ist, bekomme ich von ihr alle möglichen Aufgaben und Aufträge. Zum Beispiel mit den Müttern einkaufen gehen. Gemeinsam mit den Teenager-Müttern nach möglichen Zimmern in der Stadt suchen, diese dann überprüfen und, wenn alles in Ordnung ist, Sr. Ewa darüber informieren. Ein Zimmer in Cebu City zu mieten ist auch ganz anders als ein Zimmer in Holland oder Deutschland, hahahhaha. Zuerst gab es eine kleine Verhandlung mit dem Vermieter über die Miete und dann habe ich einfach selbst eine Art Mietvertrag geschrieben, denn das gab es nicht. Alle drei haben unterschrieben und das Zimmer gehört nun offiziell für ein paar Monate Agnes und ihrer kleinen Tochter.
Natürlich war ich in diesem Monat auch im Kaisa Ka Frauenrechtsclub aktiv. Meine drei Lieblings-Ates (eine Art Tanten) hatten mich zu einem Vortrag (den sie vorbereitet hatten) über die Gleichstellung der Geschlechter in einem der Fischerdörfer eingeladen. Aus solchen Dingen schöpfe ich so viel Energie. Die kleinen Aufgaben und Aufträge, die ich von Sr. Ewa bekomme, und all die Präsentationen, an denen ich von Kaisa Ka teilnehmen darf. Und sogar mein Visaya wird ein bisschen besser, weil ich so viel mehr unter den Einheimischen bin.
Natürlich bin ich kein "weißer Retter", aber als Freiwillige können wir nicht leugnen, dass dieses Jahr auf egoistischen Stelzen wackelt, aber zumindest das zu akzeptieren und durch Diskussionen, Rundschreiben, Treffen usw. kleine Brücken zu bauen, kommt dem Konzept des "nachhaltigen Egoismus" näher und liegt in unserer eigenen Hand. Wie in früheren Generationen brauchen junge Menschen nur den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, sich gegen die Dynamik auszusprechen und das Wissen, dass man als Kollektiv viel erreichen kann. Liebe Leute, macht euch keine Sorgen, dass dies ein armseliger Versuch war, zu revolutionären Umstrukturierungen aufzurufen (da würde ich mir etwas mehr Mühe geben), nur ein weiterer Gedankenanstoß, der vielleicht in dem einen oder anderen Menschen Wurzeln schlägt.
Neben all diesen lustigen, aufregenden neuen Aufgaben liebe ich es immer noch, jeden Tag nach Balay Samaritano zu gehen und mit den kleinen Kindern zu spielen, auch wenn es nicht immer so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe 🙈😂 Im Moment übe ich jeden Tag mit Janice das Laufen. Janice ist 10 Monate alt und die Tochter von Agnes (14 Jahre alt). Janice ist insgeheim mein Lieblingsbaby, denn sie lächelt immer und krabbelt auf mich zu. Und hoffentlich läuft sie im April, denn sie ist wirklich kurz davor 😱
Bevor ich diesen Beitrag schließe, möchte ich euch allen ein frohes Osterfest wünschen!!! Bei mir hat die ‚Holy Week‘ am Donnerstag begonnen und ich kann nur sagen, dass ich wunderschöne Ostergottesdienste besucht habe. Dieses Jahr habe ich Ostern viel intensiver erlebt als in den vergangenen Jahren. Gestern Abend um 20 Uhr begann die 'Vigil-Messe' ganz im Dunkeln und später zündeten wir alle unsere Kerzen an, eine nach der anderen an. Erst dann konnte ich sehen, dass die Kirche mit 500 bis 600 Menschen gefüllt war. Der Gottesdienst dauerte 2,5 Stunden, aber es war wunderschön. Danach habe ich spontan mit Schwester Maria und Schwester Alejandra ein Mitternachtseis gegessen, damit wir für den nächsten Gottesdienst wach bleiben konnten. Um 2:30 Uhr begann das traditionelle "Sugat", die Begegnung des auferstandenen Christus mit der Jungfrau Maria, die den Beginn des neuen liturgischen Kalenders einläutet. Der Sugat ist ein jährliches Spektakel mit "Engeln" (gespielt von Kindern), die in der Morgendämmerung des Ostertages vom Himmel herabsteigen. Dabei handelt es sich buchstäblich um Kinder, die an einem Seil von der Spitze der Kirche herabsteigen. Ich fand den Anblick sehr amüsant, hahahahha.
Nach dem Gottesdienst habe ich es geschafft, eine Stunde zu schlafen, denn um 5:30 Uhr klingelte mein Wecker wieder für den nächsten Gottesdienst. Ich war zum Ostergottesdienst in unserer eigenen Schwesterngemeinschaft eingeladen. Alle Schwestern und Postulantinnen (Schwestern in Ausbildung) waren anwesend. Nach dem Gottesdienst haben wir gemeinsam gefrühstückt und eine der Postulantinnen hat mir noch schnell mit der Küchenschere die Haare geschnitten. Ich hoffe, dass ihr Ostern so schon erlebt habt wir ich. Ich wünsche euch allen dass ihr jeden Tag die Nähe Jesu spüren dürft und dass er euch Hoffnung gibt. Hoffnung egal in welcher Situation und wo ihr euch befindet! 💗😘
Wir sehen uns im April!!!
Viele liebe Grüße